Ich bin im besten Alter. Ich kann, ich will und ich weiß wie es geht.

Unflexibel, langsam, teuer – viele Chefs haben Vorbehalte gegenüber Bewerbern jenseits der 50. Dabei machen Unternehmen gute Erfahrungen, wenn sie Ältere einstellen:

Viele Ältere sind genervt vom zunehmenden Tempo, manche Jüngere stören sich an eingefahrenen Abläufen.

Thorsten Dorfhuber ist ein sportlicher Typ. Wenn Not am Mann ist, setzt sich der Betriebsleiter auch schon mal selbst auf den Gabelstapler und transportiert Waren. In seiner Freizeit läuft der 53-Jährige Marathon. Seit ein paar Monaten leitet er die Logistik bei der Wilhelm Gienger KG in Mannheim und führt 60 Mitarbeiter. Dorfhuber ist Meister für Lagerwirtschaft und bringt viel Erfahrung als Logistik- und Projektleiter mit, immer wieder war er auch in zeitlich befristeten Projekten tätig und lernte diverse Branchen kennen.

Mit 50 wurde es schwieriger. „Langjährige Berufserfahrung kostet Geld“, sagt Dorfhuber. In den vergangenen drei Jahren verschickte der gebürtige Hamburger viele Bewerbungen – an Mittelständler ebenso wie an Konzerne, in Handel, Industrie und Gewerbe. „Selbst wenn mein Profil zu hundert Prozent passte, kamen nur Standardabsagen.“ Wenn überhaupt.

Irgendwann begann der Logistikexperte damit, einen Teil seiner erworbenen Kenntnisse wegzulassen, um seine Chancen zu verbessern. „Es sagt dir ja niemand, dass du zu teuer bist. Überqualifiziert, heißt es dann.“ Über die DIS AG, einem Vermittler für Fach- und Führungskräfte, gelang ihm der Einstieg bei Gienger. Eben weil er ein gestandener Fachmann und Ausbilder ist.

Tatsächlich verringert sich die Wahrscheinlichkeit einer Wiederbeschäftigung mit zunehmendem Alter deutlich. Eine Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt, dass in der Altersgruppe zwischen 47 und 49 Jahren noch etwa 80 Prozent der Arbeitsuchenden innerhalb von 24 Monaten wieder einen Job finden, vom 50. Lebensjahr an sinken die Werte kontinuierlich bis zu 35 Prozent bei den 58- bis 60-Jährigen.

Zu teuer, zu unflexibel, weniger belastbar und technisch hintendran – das sind die gängigsten Vorbehalte, denen ältere Bewerber begegnen. Dabei bewahrheiten sie sich nur selten. In einer anderen IAB-Studie aus dem Jahr 2017 haben die Forscher Betriebe befragt, die Menschen ab 50 Jahren neu eingestellt hatten. Sie machten überwiegend positive Erfahrungen.

Mit älteren Fachkräften kann der Firmenchef langfristiger planen

Auch der Unternehmer Jens Fahrion kann die Vorurteile gegenüber älteren Mitarbeitern nicht bestätigen. „Im Gegenteil“, sagt er. Seit mehr als 17 Jahren setzt die Firma Fahrion Engineering in Kornwestheim gezielt auf das Potenzial älterer Mitarbeiter. Das Durchschnittsalter der Beschäftigten in dem baden-württembergischen Familienunternehmen liegt bei 52 Jahren.

Anfang der Nullerjahre hatte sich Senior Otmar Fahrion zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen, nachdem seine Suche nach Ingenieuren für den Industrieanlagenbau erfolglos geblieben war. Er schaltete eine Stellenanzeige mit dem Slogan: „Mit 45 zu alt – mit 55 überflüssig?“ Das erregte viel Aufsehen und brachte den gewünschten Erfolg.

Seine Söhne sind der Strategie treu geblieben. „Wir brauchen Projektleiter mit interdisziplinärer Erfahrung, die auf Augenhöhe mit Kunden verhandeln können“, sagt Nachfolger Jens Fahrion, der das Unternehmen gemeinsam mit seinem Bruder leitet. „Jüngere Mitarbeiter können das noch gar nicht leisten.“

Außerdem sei der Einsatz älterer Mitarbeiter viel planbarer. Während Berufseinsteiger alle zwei, drei Jahre die Stelle wechselten, um einen attraktiven Lebenslauf aufzubauen, kann er mit älteren Fachkräften langfristig planen. „Manche Projekte dauern mehrere Jahre, und unsere Kunden schätzen es gar nicht, wenn mittendrin das Personal wechselt“, sagt Fahrion.

Die Reisebereitschaft ist bei der Generation 50plus offenbar deutlich stärker ausgeprägt. Über Themen wie Familiengründung oder Sabbatical sind die Älteren meistens hinweg und damit wieder viel freier in ihren Entscheidungen. „Letztlich ist es eine Frage der wirtschaftlichen Effizienz“, sagt der Firmenchef. „Und unsere Kunden sehen den Mehrwert.“

Wichtiges Instrument für Personaler ist die Altersstrukturanalyse

Hinzu komme, dass die Einarbeitungszeit bei neu eingestellten älteren Fachkräften weniger zeitintensiv sei. Auch Thorsten Dorfhuber ist es gewohnt, sich schnell einzufinden. „Personalführung und Einarbeitung in komplexe Strukturen und neue Systeme muss man als Betriebsleiter von Anfang an können“, sagt er.

Christina Sommer-Ruland ist Personalleiterin der Wilhelm Gienger KG Mannheim und hat das Bewerbungsgespräch mit dem Logistikmeister geführt. Sie war auf Anhieb überzeugt von seiner besonnener Ausstrahlung und seinem Engagement als Ausbilder und Mitglied der Prüfungskommission bei der Industrie- und Handelskammer. „Wir brauchen Fachkräfte, die sich ständig weiterentwickeln, fachlich auf dem neuesten Stand sind und mit Menschen umgehen können“, sagt sie.

Der Großhandel für Haustechnik ist Teil der Gienger-Gruppe, eines Zusammenschlusses mittelständischer Familienunternehmen in der Region Rhein-Neckar. Der Fachkräftenachwuchs wird bevorzugt im eigenen Haus ausgebildet. Mit einem Altersdurchschnitt von 34 Jahren ist die Belegschaft am Standort Mannheim entsprechend jung. Regelmäßig wertet die Personalleiterin die Statistiken zur aktuellen Personalzusammensetzung aus und verschafft sich einen Überblick.

Die Altersstrukturanalyse ist für sie ein wichtiges Instrument. „Die Probleme entstehen dort, wo wir eine Unwucht haben“, sagt Christina Sommer-Ruland. „Wenn sich zu wenige ältere Fachkräfte um die nachwachsenden Generationen kümmern, kommt es zu Konflikten.“

Im Unternehmensalltag lassen sich Konflikte kaum vermeiden. Da sind die langjährigen Mitarbeiter, vom zunehmenden Tempo selbst gestresst und von Verhalten der Generation Y genervt; dort die Jungen, die mit der Lebenswelt ihrer älteren Kollegen oftmals nicht viel anfangen können. Teamleiter wünschen sich bei Neubesetzungen jüngere Mitarbeiter, die auf einer Wellenlänge und noch formbar sind. Ältere fühlen sich von technischen Neuerungen überrollt und haben Angst um ihre Position.

„Mit der Digitalisierung wird die Dynamik der Arbeitsprozesse für alle zu einer Herausforderung“, sagt Sommer-Ruland. Ob Beschäftigte das Tempo halten können, ist für sie daher eher eine Frage der Persönlichkeit als des Alters. „Es gibt Menschen, die offen sind und bereit, sich immer wieder auf Neues einzulassen. Darauf kommt es an.“

Wissen kommt mit Alter

Menschen über 55 Jahre profitieren seltener von Weiterbildungen

Ältere Beschäftigte müssen sich diese Offenheit jedoch unter erschwerten Bedingungen erhalten. „Sie haben mehr als Jüngere mit ständig wiederkehrenden Arbeitsvorgängen zu tun, was auf einen Berufsalltag mit eingefahrenen Bahnen hindeutet“, beobachtet Andreas Hinz, Experte für Unternehmensentwicklung und Fachkräftesicherung am RKW Kompetenzzentrum in Eschborn, einer gemeinnützigen Forschungs- und Entwicklungseinrichtung. Menschen über 55 Jahre müssen und können am Arbeitsplatz nur noch wenig Neues ausprobieren und profitieren seltener von Weiterbildungsmaßnahmen.

Besonders hart trifft es gering Qualifizierte. „Ihr Arbeitsleben verläuft ohnehin häufig in festgefahrenen Bahnen, ohne frische Impulse“, sagt Hinz. „Wenn dann noch das Alter dazukommt, sind sie doppelt benachteiligt.“

Mit dem Wegweiser „Demografiefeste Arbeit“ gibt das RKW Kompetenzzentrum kleinen und mittleren Unternehmen Vorschläge an die Hand, wie sie ihre Arbeit für Ältere und Jüngere interessant, motivierend und damit zukunftssicher gestalten können. Durch Teamarbeit etwa, in der Aufgaben so verteilt sind, dass häufiger gewechselt wird. „Mitarbeiter, die geistig nicht gefordert werden und wenige Chancen haben, sich zu beweisen, drücken sonst irgendwann nur noch dieselben Knöpfchen und melden sich innerlich ab.“

Zwischen Routinen und Überforderung: Ein Durchpowern bis zum Renteneintrittsalter hält Jens Fahrion für unrealistisch. „Die meisten Berufsverläufe weisen Sprünge oder Löcher auf.“ Der Unternehmer vertritt das Konzept einer „facettenorientierten Bogenkarriere“. Das heißt: Leistungen und Bezüge werden an die individuelle Lebenssituation angepasst, Weiterbildungsangebote oder gesundheitsfördernde Maßnahmen am Arbeitsplatz wirken dem „sanften Abfallen der Kräfte“ nach dem 50. Lebensjahr entgegen.

Fahrion macht damit gute Erfahrungen: „Unsere Fachkräfte bringen auch jenseits der 60 noch Leistungen auf hohem Niveau.“ So wie Konstruktionsleiter Thomas Rübmann. Der 61-Jährige ist seit 2012 bei Fahrion und befasst sich mit Werkzeugplanung und der Umgestaltung von Industrieanlagen. Eine Zeit lang war er auch schon bei einem Kunden in China. „Die Aufgaben sind vielfältig, ich bin immer wieder in anderen Projekten mit wechselnden Anforderungen beschäftigt“, sagt er. „Das macht es interessant.“

Auch für ihn als Ingenieur wurde es auf dem Arbeitsmarkt zunehmend schwierig. „Jeder will den 20-jährigen Bewerber mit 40 Jahren Berufserfahrung“, sagt Rübmann, nur halb im Scherz. Bei Fahrion saß er im Bewerbungsgespräch dem Senior gegenüber. „Da war ich plötzlich wieder der Jüngere“, erinnert er sich. Für die Ergebnisse sei die altersgemischte Struktur in den Teams auf jeden Fall ein Gewinn. „Beide Seiten lernen voneinander.“ Das kann sein Chef nur bestätigen: „Diese Form der Zusammenarbeit ist strategisch gesehen Teil unseres Wissensmanagements.“

Dieser Artikel erschien zuerst in der SZ am 22. September 2019


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4 Kommentare

  1. Ich weiß nicht woher die Statistik kommt, das man ab 50 etwa 24 Monate für einen neuen Job braucht. Bei mir waren es zwei mal 10 Monate. Bin 57 Jahre jung.

  2. Interessanter Artikel, Glückwunsch! Ich bin „gestandene“ Marketingfrau, 57 Jahre jung, genieße es mit jungen Teams zu arbeiten, bin weder verstaubt noch eingefahren und freue mich aktuell auf neue Herausforderungen. Bin sehr gespannt, wann und wie es klappen wird. Werde berichten! Grüße, Sabine Reitzuch-Kettler

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