Nimm zwei = Jobsharing
Ein Anschreiben, zwei Lebensläufe. Um der Mama-Falle zu entgehen, bewerben sich manche Frauen zu zweit auf eine Stelle. Aber oft wissen Arbeitgeber zu wenig über Jobsharing.
Die verdammte Zeit. Wieder würde es daran scheitern. Melanie Behrendt, 42, las die Stellenausschreibung am Schwarzen Brett: Studium, Berufserfahrung, fachliche Kompetenz… Check! Sie hatte alles, was für den Job als Pressereferentin gefordert war. Aber 40 Wochenstunden? Unmöglich. Nicht mit zwei kleinen Kindern.
An diesem Tag war sie schon die Zweite, die mit der Ausschreibung haderte. Die andere Frau traf sie in der Kaffeepause. Gemeinsam sollten sie Prüfungsaufgaben im Studiengang Angewandte Medien vorbereiten, Melanie Behrendt als Spezialistin für virales Marketing, Melanie Hahn als Expertin für PR-Strategien. Schon oft hatten die Dozentinnen sich flüchtig auf den Fluren der Hochschule Fresenius in Köln gesehen. Nun stellten sie beim Automatenkaffee fest, dass sie mehr als nur Vorname und Jahrgang teilen.Beide hatten zuvor einen attraktiven Job in Pressestellen großer Firmen – bis sie schwanger wurden.
Kind = Karriereknick, die alte Gleichung.
Teilzeit? Na klar. Aber bitte nicht auf der alten Stelle. Für einen so verantwortungsvollen Posten muss man Vollzeit da sein, das verstehen Sie doch? Die jungen Mütter fühlten sich degradiert. Unterfordert, unfair behandelt, unterschätzt. Ihre Vorlesungen an der Kölner Privathochschule konnten die Lücke des alten Jobs nicht füllen. Das hätte ein herrliches Lamento geben können in der Kaffeeküche, Frust-Muttis klagen einander ihr Leid. Aber frustriert waren die beiden nicht. Sie waren wütend. Ihr Plan: Sie würden sich auf die Stelle bewerben. Zu zweit.
Jobsharing heißt das Modell, bei dem sich zwei oder mehr Menschen eine Stelle teilen. Die Grundlagen regelt das Teilzeit- und Befristungsgesetz. Marcus Pradel, Geschäftsführer der Hochschule Fresenius Köln, war verdutzt, als die Doppelbewerbung eintraf: ein Anschreiben, zwei Lebensläufe, ein Stapel Zeugnisse – plus präziser Arbeitsplan. Montags und mittwochs sollte Melanie Behrendt von 9 bis 13 Uhr am Schreibtisch sitzen, Melanie Hahn von 12 bis 16 Uhr. Dienstags und donnerstags wäre jeweils eine von beiden ganztags da, freitags beide am Vormittag.
Eine Stelle mit zwei Leuten zu besetzen sei „modern, effizient und nicht nur inhaltlich interessant, sondern auch finanziell“, schrieben Hahn und Behrendt, „Sie bekommen mehr Expertise und Umsetzungspower, als ein Kandidat mitbringt. Und das ‚mehr‘ an Kompetenz kostet nicht mehr.“ Das stimmt nicht ganz. Arbeitgeber müssen für Jobsharer ab einer bestimmten Einkommensgrenze mehr Abgaben zahlen: zum Beispiel rund 1000 Euro jährlich bei einem Bruttomonatslohn von 5000 Euro.Gut 200 Bewerber hatten sich gemeldet, darunter geeignete Vollzeitkandidaten. Pradel war skeptisch, zugleich neugierig. Seine eigene Frau hatte ihre Führungsposition für den Teilzeitjob opfern müssen. Warum eigentlich?
Eins plus eins gleich drei, schrieb das Bewerbungsduo.
Das schien ihm nicht abwegig: „Ein Mischwald ist ausdauernder und beständiger als eine Monokultur.“ Pradel lud die beiden ein.
Das Interview übten die beiden Melanies ein. „Wir haben viel Berufserfahrung“, so Behrendt, „wenn da eine alle Stationen herunterbetet, ist die Zeit um, bevor die andere ein Wort gesagt hat.“ Die Strategie: Hahn ist die Ruhigere der beiden; Behrendt sollte nach jeder Frage warten, ob sie zuerst antworten will. Auf dem iPad hatten sie eine komplette PR-Strategie für die Hochschule vorbereitet. „Sie haben sich gut verkauft“, sagt Marcus Pradel. „Aber wir mussten lange überlegen, ob wir es wagen.“ Die Bewerberinnen absolvierten drei Interviews, mit einem halben Dutzend Männern auf der Hochschulseite. Erst dann stand fest: Das Tandem bekommt den Job. Mit zwei Teilzeitverträgen.
Arbeitsrechtlich gelten sie nicht als Jobsharer – die haben besondere Verträge und sind verpflichtet, einander im Krankheitsfall zu vertreten. Aber Behrendt und Hahn finden den Titel passend. Schließlich teilen sie sich die Stelle seit Juni 2013, genau so, wie sie’s geplant hatten. Von der Referentin sind sie nun zusammen zur Pressesprecherin aufgestiegen. Hochschul-Geschäftsführer Pradel, inzwischen „begeistert“, würde jederzeit wieder ein Tandem einstellen.
Gemeinsam beworben haben sich auch Dörte Stadtbäumer, 41, und Michaela Tietz, 42. Die Informations- und die Kulturwissenschaftlerin hatten Leitungspositionen bei einer Hamburger Fernhochschule, bis sie in die „Mama-Falle“ tappten, wie Tietz es nennt:
„Man schafft es nicht, dort wieder einzusteigen, wo man aufgehört hat.“
Statt auf freie Stellen zu warten, verschickten sie Initiativbewerbungen in Wir-Form. Direkt an Entscheidungsträger statt an Personalabteilungen. „Wir haben versucht herauszufinden, wer in der Firma eine Führungsposition innehat und sich für Jobsharing interessieren könnte“, erzählt Tietz. Überraschendes Echo: sieben Bewerbungen, vier Vorstellungsgespräche – und zwei Zusagen.
„Wer sich auf eine Teilzeitstelle bewirbt, wird im Interview als Mutter wahrgenommen und gefragt: Wie machen Sie das mit der Kinderbetreuung?“, so Stadtbäumer. „Zu zweit sind wir das nicht gefragt worden. Da interessierten sich alle nur für unsere Arbeitsaufteilung.“ Nun leiten die beiden zusammen die Hochschulorganisation für das Online-Studium bei der Cognos AG, die unter anderem die Hochschule Fresenius und die Leipziger Business School HHL betreibt. Es ist schon ihr zweiter Job als Tandem: Zuvor arbeiteten beide halbtags als Projektleiterinnen bei der Hamburger „Zeit“-Akademie. „Mit Cognos waren wir seit unserer Initiativbewerbung im Gespräch, nun hat es einfach gepasst“, sagt Stadtbäumer.
Bei der neuen Stelle teilen sich beide sogar eine E-Mailadresse. Wie glücklich sie mit ihrem Arbeitsmodell sind, hat sich mittlerweile auch in ihrem Freundeskreis herumgesprochen: Schon mehrmals haben sie ihre Bewerbung als Vorlage an andere Frauen ausgeliehen.
Weniger Erfolg per Tandembewerbung hatte ein Duo, das eigentlich weiß, was Personaler wollen – sie sind selbst welche. Petra Reinhold, 43, und Wibke Wolf, 46, kennen sich aus einer Spielgruppe ihrer Kinder. Ihre Hoffnung: Im Doppelpack würden sie eine anspruchsvollere Stelle finden als allein.
„Doppelte Erfahrung, doppelte Verantwortung, doppelte Energie“
wurde ihr Motto. Sie ließen Flyer drucken und drehten einen „Elevator Pitch“. Im Fahrstuhl erzählen sie in 72 YouTube-Sekunden, was sie Arbeitgebern zu bieten haben: „Umfangreiches Know-how, vielseitige Sichtweisen, Flexibilität, ganzjährige Präsenz.“
Den Arbeitgebern reichte das offenbar nicht. Erst ein halbes Jahr, 20 Tandembewerbungen, vier Jobinterviews und fünf Karrieremessen später fand Wibke Wolf einen Arbeitsplatz. Allein. Auch Petra Reinhold hat mittlerweile einen Job gefunden. „Wir hätten vielleicht lieber auf Initiativbewerbungen setzen sollen“, sagt sie. „Als Tandem standen wir in direkter Konkurrenz zu Vollzeitbewerbern. Wir wissen ja selbst, wie das ist: Bewerbungen werden schnell aussortiert.“ Ganz aufgegeben haben beide die Idee vom geteilten Job aber noch nicht. Und ergebnislos sind ihre Bewerbungen auch nicht geblieben.Von ihrer Initiative waren zwei junge Frauen in einer Berliner Personalvermittlung so begeistert, dass sie die eigenen Jobs kündigten. Und „Tandemploy“ gründeten, eine Jobsharing-Plattform mit dem Slogan: „Wenn zwei Menschen einen Job teilen, gewinnen alle.“
Mehr als 1400 Frauen und 600 Männer haben sich bislang auf der Plattform registriert, um dort einen Tandempartner zu finden, mit dem sie auf Jobsuche gehen können. Rund 30 Firmen, vom Touristikkonzern DER bis zur Barmenia Versicherung, nutzen „Tandemploy“ zur Bewerbersuche. „In diesem Jahr scheint ein Knoten geplatzt zu sein“, sagt Mitgründerin Jana Tepe, gerade zurück vom ersten internationalen Jobsharing-Kongress in der Schweiz. „Es kommen immer mehr Firmen auf uns zu.“ Eine Kreativagentur aus Österreich suche sogar zwei Jobsharer für die Geschäftsführung ihres Berliner Büros.