Akzeptiere die Angst, um wachsam zu bleiben.

„Man muss die Angst akzeptieren,
um wachsam zu bleiben, aber sie darf nicht die letzte Instanz sein.“

Karsten vom Bruch war 20 Jahre bei Bosch, zuletzt Vollzeit als Betriebsrat. Im Februar 2018 wurde ihm fristlos gekündigt. Ein Gespräch darüber, wie es ist, wenn man abhängig beschäftigt ist und zu unabhängige Gedanken hat.

Karsten vom Bruch, 50, arbeitete bis zu seiner Kündigung als Ingenieur beim Automobilzulieferer Bosch, darunter viele Jahre im Bereich Abgasnachbehandlung von Dieselmotoren in Stuttgart-Feuerbach. Seit mehr als zehn Jahren gehört er als IG Metall-Mitglied dem Betriebsrat des Unternehmens an – seit 2014 als freigestelltes Mitglied, also in Vollzeit.

Nach einer fristlosen Kündigung seitens des Arbeitgebers beträgt die von der Agentur für Arbeit verhängte Sperrfrist bis zu zwölf Wochen. Bei Karsten vom Bruch betrug sie die vollen drei Monate. Danach bezog er Arbeitslosengeld, anschließend bekam er für zwei Monate Arbeitslosengeld II.

Inzwischen arbeitet er als Rettungssanitäter, wie vor 30 Jahren im Zivildienst. Kurioserweise wurde er während seines Kündigungsverfahrens wieder in den Betriebsrat gewählt, weil er für dieses Ehrenamt passiv wählbar blieb. Falls er seine Kündigung in zweiter Instanz – die noch nicht terminiert ist – rückgängig machen kann, will er sein Amt in der darauffolgenden Betriebsratssitzung wieder wahrnehmen.

brand eins: Herr vom Bruch, nach Ihrer Sicht der Dinge wurde Ihnen gekündigt, weil Sie immer gesagt und getan haben, was Ihnen richtig vorkam. Hatten Sie nie Angst, dass das mal Ärger gibt?

Karsten vom Bruch: Ich bin nun mal einer, der den Mund aufmacht, wenn es sein muss. Klar habe ich finanzielle Ängste, schon wegen meiner vier Kinder. Als gekündigter Betriebsrat und Gewerkschafter im Alter von 50 Jahren noch einen neuen Job als Ingenieur zu finden ist sehr schwierig, wenn nicht unmöglich. Aber meine Aufgabe ist nicht nur, ein Einkommen für meine Kinder zu sichern, sondern auch die Gesellschaft voranzubringen, in der sie leben.

Dass Abhängigkeit Angst macht, ist menschlich. Arbeiter am Band, Ingenieure wie ich, aber auch Manager ganz oben – wir alle spüren Abhängigkeiten und Angst. Man muss die Angst als Berater akzeptieren, um wachsam zu bleiben, aber sie darf nicht die letzte Instanz sein.

Sehen Sie sich als Whistleblower?

Nicht im engen Sinn der Definition: Ich habe weder Journalisten noch Staatsanwälten geheime Informationen über Bosch zugespielt, noch je irgendetwas ausgeplaudert, das nicht allgemeiner Kenntnisstand von Ingenieuren war und so schon in der Presse stand.

Was haben Sie dann getan?

Ich habe sozusagen intern immer wieder in die Alarmpfeife geblasen, und das wurde der Geschäftsleitung und dem Betriebsrat mit der Zeit zu unbequem. Wie in der Presse berichtet wurde und weshalb auch die Staatsanwaltschaft gegen Bosch ermittelt, stammte die Softwarefunktion, die im Dieselskandal bei Volkswagen eine Rolle spielte, aus unserem Haus. Davon wussten nur wenige Mitarbeiter, und auch ich habe davon erst aus der Presse erfahren.

Aber schon lange bevor dieser Skandal publik wurde, war jedem Ingenieur bei Bosch und in der Branche klar: Die meisten Dieselfahrzeuge weisen auch mit legaler Software auf der Straße viel höhere Emissionen und Spritverbräuche auf als beim Testzyklus auf dem Rollenprüfstand für die Typenzulassung. Auch die Politik wusste das. Jeder Ingenieur konnte mit einem Dreisatz ausrechnen, dass viele AdBlue-Tanks für die Abgasreinigung in Autos speziell in den USA viel zu klein waren, um ohne Nachtanken von einem Wartungsintervall bis zum nächsten zu reichen. Solche und andere Dinge habe ich intern immer wieder kritisiert, und das war nicht erwünscht.

Wie haben Sie Ihre Kritik vorgebracht?

In vielen Gesprächen und auch auf „Zukunftsschwärmer“, einer Community auf der internen Onlineplattform von Bosch, die ich kurz vor dem Dieselskandal mit einer Kollegin gegründet hatte. Weder das Management noch mein Betriebsratsgremium unterstützten das, aber man ließ uns gewähren. Auch auf einer anderen Plattform wurden in Communitys zunehmend kritische Themen angesprochen. Genauso haben die Mitarbeiter in der Online-Ausgabe der Mitarbeiterzeitung »Bosch-Zünder« und in diversen Blogs die Kommentarfunktion immer mutiger genutzt.

Ich war, auch nach persönlichen Gesprächen mit dem Bosch-Chef Volkmar Denner, überzeugt: Wenn in der Automobilindustrie überhaupt etwas gedreht werden kann, dann bei Bosch, weil das Unternehmen keine Aktiengesellschaft ist und weil es die Werte des Firmengründers gibt. Aber seit dem Dieselskandal wurden Kollegen und auch ich mehrfach aufgefordert, besonders kritische Kommentare zu unterlassen oder zu löschen, was ich natürlich in meinem Rollenverständnis als Arbeitnehmervertreter verweigert und stattdessen die Löschaufforderung kommentiert habe.

Die „Zukunftsschwärmer“ gibt es immer noch.

Ja, aber manche Kollegen halten sich jetzt zurück, aus Sorge, ihnen könnte Ähnliches passieren wie mir. Das ist schade, weil es so viele tolle Leute auf allen Ebenen im Unternehmen gibt, die für ihre Aufgabe brennen und sich ernsthafte Gedanken machen, wie es weitergehen kann und soll. Es gibt aber zum Glück auch einige Kollegen, die diese Idee jetzt erst recht mutig vorantreiben. Wir müssen so viel verändern: bei Bosch, in der Gesellschaft, in der Welt.

Die Automobilindustrie hat trotz des Dieselskandals darauf gesetzt, so weiterzumachen wie bisher. Es müsse eben nur die nächste Pumpengeneration ein bisschen effizienter und die nächste Motorsteuerung ein bisschen sauberer sein. Über andere Produktbereiche, neue Mobilitätskonzepte und eine andere Unternehmenskultur wurde viel zu wenig nachgedacht. Für solche Äußerungen haben mich Betriebsräte schon vor vielen Jahren als Arbeitnehmerverräter beschimpft. Wir seien von den „Dieseljungs“ gewählt worden, da könnten wir doch nicht solche umwälzenden Überlegungen anstellen, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Das Resultat ist, dass Bosch und die Branche jetzt leider die Getriebenen sind.

Nur wenige Wochen nach der öffentlichen Entschuldigung des Volkswagen-Chefs Martin Winterkorn im September 2015 schrieben Sie dem Bosch-Chef Volkmar Denner in einem dreiseitigen Brief, dass Ihnen seine Antworten auf den Skandal nicht genügten. Das war frech.

Das wirkt vielleicht frech – aber es war berechtigt. Denn Denner hatte zuvor in einem Brief an die Mitarbeiter das „Legalitätsprinzip“ beschworen. Es reicht meiner Meinung nach aber nicht, dreckige Motoren legal durch den Testzyklus zu bringen – und natürlich schon gar nicht illegal. Deshalb bat ich ihn, die Unternehmenswerte um das Ehrbarkeitsprinzip zu erweitern. Ganz im Sinne des Firmengründers Robert Bosch, von dem das berühmte Zitat stammt: „Lieber Geld verlieren als Vertrauen.“

Das Unternehmen hat sich inzwischen einen Kodex für die Entwicklung sämtlicher Produkte gegeben. Demnach ist unter anderem der Einbau von Funktionen, die Testzyklen automatisch erkennen, verboten. Im Zweifelsfall gingen „Bosch-Werte vor Kundenwunsch“, sagte der Firmenchef dazu. Was erwarten Sie noch? Die Firma hat sich doch bewegt.

Hat sie definitiv, nur reichlich spät und gegenüber den Mitarbeitern meiner Meinung nach teilweise nicht überzeugend genug. Der Kodex kam erst deutlich nach Bekanntwerden des Dieselskandals – der bei Bosch übrigens Diesel-Thematik heißt. Der Kodex ist jetzt offizielle Firmenstrategie, was ich natürlich begrüße. Aber ein Kulturwandel funktioniert nicht nur per Anweisung.

In den Köpfen und Herzen der Mitarbeiter muss ankommen, dass sie zu positiven Veränderungen beitragen können und das auch wirklich sollen, und zwar ausdrücklich auch durch unangenehme Fragen und harte Kritik. Ohne dass sie Angst um Job und Karriere haben müssen. Dafür brauchen sie glaubwürdige Signale vom Arbeitgeber, dass man Schutz bekommt, falls man wie ich im Dickicht der Hierarchie ins Feuer gerät. Das wäre im Interesse beider Seiten, für Beschäftigte und das Unternehmen, ist aber leider bis heute nicht der Fall.

Ihnen wurde aber nicht wegen Ihrer kritischen Haltung gekündigt, sondern aus einem anderen Grund, dem sogar der Betriebsrat zustimmte, dem Sie angehören.

Ich soll unserer Personalleiterin Gewalt angedroht haben, was definitiv nicht der Fall war. Das will ich in der zweiten Instanz mit den bereits vorliegenden Zeugenaussagen vor Gericht erneut klären lassen. Ich habe mich bei der Personalleiterin massiv darüber beschwert, dass sie mich zu einem Termin ohne Zeugen nötigen wollte, bei dem es um den absurden Vorwurf gehen sollte, ich hätte Kolleginnen am Rande eines Warnstreiks belästigt, als ich vor ihrem Umkleidebereich auf sie wartete. In der Gerichtsverhandlung ging es gar nicht mehr um diese Vorgeschichte, sondern nur noch um meine empörte Reaktion darauf.

Ich kann es nicht beweisen, aber der Vorwurf der Belästigung war vorgeschoben und führte zum zweiten Vorwurf, mit dem die Kündigung vor Gericht zunächst Bestand hatte. Mein Betriebsratsgremium hat dadurch, dass es meiner Kündigung zugestimmt hat, ohne mich selbst vorher zu den Vorwürfen anzuhören, massiv Vertrauen in der Belegschaft verspielt. Das ist ein verheerendes Signal an alle Kollegen, die dieses Ehrenamt gewissenhaft ausüben wollen und sich dabei auf den Schutz des Betriebsverfassungsgesetzes verlassen müssen.

Sie haben Ihrem obersten Vorgesetzten in dem Brief ein weiteres Zitat von Robert Bosch vorgehalten: „Wer aufrecht seinen Weg sucht, stets seinem Gewissen verantwortlich, dem dürfen wir unsere Achtung nicht versagen, er mag mit uns oder gegen uns gehen.“

Der alte Robert hat viel Richtiges gesagt und gedacht, wir wären bestimmt Freunde geworden. Wie mein Fall zeigt, hinkt das Unternehmen den Werten des Gründers aber leider hinterher. Sobald einer den Mund aufmacht, und sei es nur intern, kann ihm Schlimmes passieren. Ich würde das gern ändern: dass diejenigen, die tricksen, Angst haben müssen, weil sie sich nicht darauf verlassen können, dass alle anderen den Mund halten. Und dass es ernst gemeint ist mit der Rückendeckung für Querdenker.

Will man nach der Devise von Robert Bosch handeln und „lieber Geld verlieren als Vertrauen“, dann kann eine Auswirkung sein, dass man möglicherweise Aufträge verliert. Deshalb muss dieser Wert ganz tief in der Unternehmenskultur verankert sein, bei jedem Manager, jedem Mitarbeiter und natürlich auch beim Betriebsrat und den Gewerkschaften, die sonst bei der ersten Bewährungsprobe mit dem Arbeitsplatzargument auf die Barrikaden gehen.

Sind Sie gescheitert?

Das könnte man auf den ersten Blick so sehen. Aber ich möchte das ungern als das letzte Kapitel stehen lassen. Und wenn man genau hinschaut, stellt man auch fest, dass man gar nicht allein ist. Es ist nur schwierig, die anderen zu finden, die ähnlich denken. So wie ich bei Bosch im Laufe von 20 Jahren viele Leute kennengelernt habe, die mit ihren Ideen an der richtigen Stelle sitzen und Veränderungen zum Guten wollen, so habe ich die Hoffnung, dass auch viele Unternehmer eigentlich etwas anderes bewirken möchten. Mein Traum wäre es, diejenigen Firmen zusammenzuführen, die für eine Kultur des Wandels stehen.

Waren Sie eigentlich schon immer so unerschrocken?

Wahrscheinlich ein genetischer Defekt. Nein, im Ernst: Meine Erziehung hat eine wichtige Rolle gespielt. Ich erinnere mich, wie ich als Sechs- oder Siebenjähriger im Garten unseres alten Hauses im Taunus stand, das meine Eltern gerade renovierten. Da lief ein Mann vorbei, der sich die Nase schnäuzte und dann einfach sein Taschentuch auf unser Grundstück warf. Ich stellte ihn zur Rede, aber er entschuldigte sich nicht, sondern spielte sich auf, wie ich kleiner Knirps es wagen könne, ihn zurechtzuweisen. Meine Mutter kam dazu und gab mir Rückendeckung. Quelle brandeins

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